Bernd Rathert zum Berufsbild

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Bernd Rathert

Bernd Rathert zum Berufsbild

Seit 1996 Trauerredner / Mitglied in der BATF

Ich bin Jahrgang 1961, wohne in Minden/Westfalen und seit 1996 Trauerredner im Nebenerwerb. Im Hauptberuf bin ich leitender Angestellter in einem großen Lebensmittelkonzern. Mein Einsatzgebiet liegt in Ostwestfalen, dem Schaumburger Land sowie in den angrenzenden Regionen von Nienburg, Hannover und Osnabrück. Die Tätigkeit als Trauerredner sehe ich als Begleitung von Trauernden und der Gestaltung von „würdigen“ Abschieden mit Ritualen.

„Ritual ist der Oberbegriff für religiöse Handlungen, die zu bestimmten Gelegenheiten in gleicher Weise vollzogen werden, deren Ablauf durch Tradition oder Vorschrift festgelegt ist, und die aus Gesten, Worten und dem Gebrauch von Gegenständen bestehen mögen. In diesem Sinn ist die katholische Messe, der evangelische Predigtgottesdienst, die christliche Taufe, die jüdische Beschneidung, das vedische Schlachtopfer, die Rezitation buddhistischer Texte durch einen Mönch, das Schattentheater des Priester-Poeten auf Bali, Beispiele für Ritual.“ Auch wenn der sonntägliche Kirchgang und viele andere religiöse Traditionen in Vergessenheit geraten sind, bedeutet das noch lange nicht, dass Rituale schwächeln. Im Gegenteil, Rituale feiern vielerorts ein Comeback. „Ein Ritual ist in der Zeit das, was im Raum eine Wohnung ist.“ So hat es der französische Schriftsteller Antoine de Saint-Exupéry formuliert. Ein Ritual kann ein Stück Heimat sein, ein Fixpunkt in Zeiten der Unübersichtlichkeit.

Während des Lockdown als die Tage in einem diffusen Zeitbrei zu versinken schienen, haben wir Muster kreiert, um dem Alltag eine Struktur zu geben. Sogar das digitale Meeting mit Kolleginnen und Kollegen sowie Freunden bedeutete plötzlich mehr als nur den kurzen Austausch von Informationen – diese regelmäßigen virtuellen Begegnungen gaben dem Tag eine Form und ein Gesicht, ebenso wie der Spaziergang nach Feierabend oder die ausgedehnte Fahrradtour am Wochenende. Rituale geben Halt und Sicherheit, wenn sich Gewissheiten auflösen und das Leben seine Richtung verliert, sie ordnen die Zeit, füllen sie mit Sinn und laden sie mit Gefühlen auf. Denn Rituale richten sich nicht nur an den Verstand – sie gehen auch zu Herzen. Deshalb geben sie der Zeit eine andere Qualität als beim routinierten Abarbeiten der To-Do-Listen. Rituale können glücklich machen. Antoine de Saint-Exupéry hat dieses Gefühl in seiner Erzählung „Der kleine Prinz“ anrührend formuliert: „Es wäre besser, du wärst zur selben Stunde wiedergekommen“, sagte der Fuchs. „Wenn du zum Beispiel um vier Uhr kommst, kann ich um drei Uhr anfangen, glücklich zu sein. Es muss feste Rituale geben.“

So viel steht für mich fest: Rituale brauchen einen gemeinsamen Sinnhorizont, sonst funktionieren sie nicht. Dazu gehören Vereinbarung, Konventionen und gemeinsame Erinnerung. Sie brauchen einen Link zu dem, was der Gruppe – aus welchem Grund auch immer – „heilig“ ist: die Musik von Johann Sebastian Bach, die Fangesänge im Stadion, die Friday-for-Future-Demos oder das Bürgerfest im Ort. Rituale schaffen Vertrauen, wenn sich etwas verändert, und deshalb begleite ich Menschen an zentralen Punkten ihres Lebens: Geburt, Schulbeginn, Hochzeit, Tod und Trauer. Momente der Ergriffenheit – andere sprechen von einer „Medizin für die Seele“. Man muss nicht jede Lebensfeier neu erfinden, oft liegt das Besondere ja gerade im Vertrauten. Dennoch: Rituale müssen mitwachsen, wenn sie nicht erstarren oder verloren gehen sollen. Nur dann können sie eine Chance bieten für Neuanfänge. Der Mensch ist nämlich ein recht kompliziertes Wesen, stets bewegt er sich in einem Spannungsfeld zwischen dem Wunsch nach individueller Freiheit und der Sehnsucht nach Gemeinschaft, zwischen Tradition und Aufbruch. Lebendige Rituale können dabei helfen, in Zeiten großer Herausforderungen und Veränderungen zeitweise ein Gleichgewicht zu finden, das Halt schenkt. Vielleicht sind sie heute gerade deshalb umso wichtiger.